Das „Bildnis Fräulein Lieser“ von Gustav Klimt

[12.04.2024]

Eine grandiose Wiederentdeckung

Das Auktionshaus im Kinsky präsentiert ein wiederentdecktes Spitzenwerk der österreichischen Moderne: Das „Bildnis Fräulein Lieser“, eines der letzten von Gustav Klimt geschaffenen Werke. Viele Jahrzehnte lang befand sich das rund 100 Jahre verschollene Gemälde im Verborgenen in österreichischem Privatbesitz.

Die Wiederentdeckung dieses bedeutenden Damenporträts, das zu den schönsten Bildnissen der letzten Schaffensperiode Klimts zählt, ist eine Sensation. Als Schlüsselfigur des Wiener Jugendstils symbolisiert Gustav KLIMT wie kein anderer die österreichische Moderne des Fin de Siècle. Seine Werke, insbesondere seine Bildnisse von Frauen aus der gehobenen Wiener Gesellschaft der Jahrhundertwende, genießen weltweit höchste Anerkennung. Auf dem internationalen Kunstmarkt spielen Klimts Gemälde in der obersten Liga. Seine Damenporträts stellen bei Auktionen eine große Rarität dar. Seit Jahrzehnten konnte der Kunstmarkt in Mitteleuropa kein Gemälde präsentieren, das in Seltenheit, künstlerischem Rang und Wert vergleichbar gewesen wäre. Das gilt erst recht für Österreich, wo kein Kunstwerk von auch nur annähernder Bedeutung angeboten wurde.

Das Gemälde wird im Auftrag der gegenwärtigen Eigentümer (österreichischer Privatbesitz) sowie den Rechtsnachfolgern von Adolf und Henriette Lieser auf Basis einer Vereinbarung im Sinne der „Washington Principles“ von 1998 am 24. April 2024 im Auktionshaus im Kinsky in Wien versteigert.

Von Schwarz-Weiß zu leuchtenden Farben

Das Bild ist in den Oeuvrekatalogen der Gemälde Gustav Klimts dokumentiert, war der Fachwelt jedoch nur aus einem Schwarz-Weiß-Foto bekannt. Erstmals sind nun die leuchtenden Farben des Porträts zu sehen. Das Bildnis zeigt jene koloristische Intensität, die Klimts Palette der späten Schaffensjahre auszeichnet.

Klimts Modell: „Fräulein Lieser“

Im ersten, 1967 veröffentlichten Werkverzeichnis der Gemälde Klimts von Fritz Novotny und Johannes Dobai wird die Dargestellte „Fräulein Lieser“ tituliert. Die Autoren der Werkkataloge jüngeren Datums (Weidinger 2007 und Natter 2012) haben die Porträtierte als „Margarethe Constance Lieser“ (1899-1965), Tochter des Großindustriellen Adolf Lieser, identifiziert. Neue Recherchen des Auktionshauses zu Geschichte und Provenienz eröffnen auch die Möglichkeit, dass Klimts Modell ein anderes Mitglied der Familie Lieser gewesen sein könnte: entweder Helene Lieser (1898-1962), die Erstgeborene von Henriette Amalie Lieser-Landau und Justus Lieser oder deren jüngere Tochter, Annie Lieser (1901-1972).

 

Gustav Klimt, Bildnis Fräulein Lieser (1917)

im Kinsky, The Gustav Klimt Sale, 24/04/2024

Klimts Auftraggeber

Die Familie Lieser gehörte zum Kreis des vermögenden Wiener Großbürgertums, in dem Klimt seine Mäzene und Auftraggeber fand. Die Brüder Adolf und Justus Lieser zählten zu den führenden Großindustriellen der österreichisch-ungarischen Monarchie. Henriette Amalie Lieser-Landau, „Lilly“ genannt, war bis 1905 mit Justus Lieser verheiratet und verkehrte als Mäzenin in den Zirkeln der künstlerischen Avantgarde. In den Oeuvrekatalogen der Gemälde Klimts heißt es, Adolf Lieser, habe Gustav Klimt mit einem Porträt seiner achtzehnjährigen Tochter Margarethe Constance beauftragt. Manches spricht jedoch dafür, dass Klimt von der kunstaffinen Lilly Lieser den Auftrag erhalten hat, eine ihrer beiden Töchter malerisch zu verewigen.

Ein herausragendes Bildnis der letzten Schaffenszeit

Im April und Mai 1917 besuchte die Dargestellte neun Mal das Hietzinger Atelier Klimts, um ihm Modell zu stehen. Es entstanden mindestens 25 Vorstudien.

Im Mai 1917 dürfte Klimt mit dem Gemälde begonnen haben. Der Maler wählt für seine Darstellung ein Dreiviertelporträt und gibt die junge Frau in strenger frontaler Haltung, nah an den Bildvordergrund gerückt wieder – ein Kompositionsmuster, das Klimt im Rahmen des 1912 vollendeten Bildnisses von Adele Bloch-Bauer II entwickelt hatte. Die Porträtierte wird zentral auf der Mittelachse des Bildes vor einem roten, undefinierten Hintergrund positioniert. Um ihre Schultern ist ein reich mit Blumen dekorierter Umhang gelegt.

Während Klimt das Gesicht des „Fräulein Lieser“ mit präzisem Strich in sensibler, naturalistischer Manier gestaltet, spiegeln andere Bildpartien die freie, offene Pinselschrift seines Spätstils wider. Kräftige Komplementärtöne bestimmen die meisterhafte Farbkomposition. Die koloristische Intensität des Bildes und die Hinwendung zu einer lockeren, offenen Pinselschrift zeigen Klimt am Höhepunkt seines späten Schaffens.

Das wiederentdeckte „Bildnis Fräulein Lieser“ bereichert Klimts Spätwerk um eine faszinierende weitere Facette und öffnet neue Blickwinkel auf die letzte Schaffensphase der Jugendstil-Ikone: Am Ende seines Lebens schlug Klimt in seiner Malerei eine moderne, zukunftsweisende Richtung ein, die von der expressiven Farbe und einer verblüffenden gestischen Freiheit geprägt ist.

Eines der letzten Bilder Klimts

Der Tod des Malers kam der Fertigstellung des Bildes zuvor. Als der Maler am 6. Februar 1918 an den Folgen eines Schlaganfalls starb, ließ er das Gemälde – in geringen Teilen noch unvollendet – in seinem Atelier zurück. Das Bild ging nach Klimts Tod an den Auftraggeber oder die Auftraggeberin.

Das Schicksal des Bildes nach 1925

Das einzige bisher bekannte Foto des Bildes wird im Archiv der Österreichischen Nationalbibliothek verwahrt. Es wurde vermutlich 1925 im Zusammenhang mit der Klimt-Ausstellung des Otto Kallir-Nirenstein in der Neuen Galerie, Wien, aufgenommen. Auf der Inventarkarte zu diesem Negativ findet sich die Anmerkung: „1925 in Besitz von Frau Lieser, IV, Argentinierstrasse 20.“ Das genaue Schicksal des Bildes nach 1925 ist ungeklärt. Fest steht bloß, dass es von einem Rechtsvorgänger des Einbringers in den 1960er Jahren erworben und in drei Erbgängen an den gegenwärtigen Eigentümer gegangen ist.

 

Info-Kasten:

Auktion am 24. April 2024

Besichtigung: 13.-21. April, 10-17 Uhr

imkinsky.com